Schon ein falscher Klick kann teuer werden: Mit ausgeklügelten Designtricks locken viele Internetdienste ihre Nutzer in die Falle. Die Politik will das beenden.
Es gibt Klicks im Netz, die es in sich haben: etwa die, mit denen sich ein Vertrag minutenschnell abschließen lässt – während zum Kündigen ein ausgiebiges Studium des Kleingedruckten und ein Anruf bei einer kaum erreichbaren Hotline notwendig sind. Andere Klicks hingegen bringen wenig: Egal wie oft man den kostenpflichtigen Premium-Account einer Streamingplattform ablehnt – man muss immer wieder auf »Nein« klicken. Und dann gibt es noch Klicks, die einen in den Wahnsinn treiben können: etwa die, mit denen man allen Werbecookies widersprechen will, die aber früher oder später doch zur Aufgabe zwingen, weil fast jeder Cookie-Banner neue Hindernisse in den Weg legt.
Die Tricks hinter all diesen Klicks haben einen Namen: Dark Patterns – dunkle Muster. Sie gehören mittlerweile für viele Unternehmen zur gängigen Praxis. Nun wollen Politiker auf Länder-, Bundes- und Europaebene dem Treiben Einhalt gebieten. Selbst in den USA gibt es eine neue Front gegen die unseriösen Geschäftspraktiken.
Am Donnerstag hat der Bundestag das Gesetz für faire Verbraucherverträge beschlossen. Das Gesetz ist bedeutend schlanker, als es Justiz- und Verbraucherschutzministerin Christine Lambrecht vorgesehen hatte. Zwar müssen Verträge per Telefon künftig schriftlich festgehalten werden, doch das geplante Verbot von Zweijahresverträgen bei Mobilfunkprovidern und Fitnessstudios wurde eingedampft.
Kakerlakenfalle für Verbraucher
Auf Antrag der Grünen ist aber ein weiterer Punkt neu hinzugekommen: Firmen müssen künftig Verbrauchern das Kündigen von langfristigen Verträgen genauso einfach ermöglichen wie den Vertragsabschluss. Ist ein Vertragsabschluss mit einem Button im Internet erledigt, so müssen die Anbieter künftig auch einen ebenso einfach erreichbaren Kündigungsbutton anbieten.
Bisher haben viele Anbieter das Kündigen möglichst schwer gemacht. »Verträge mit wiederkehrenden Leistungen, also beispielsweise Abonnements oder Mitgliedschaften, können zwar mit einem Klick schnell online abgeschlossen werden, müssen dann aber teilweise in verwinkelt platzierten Formularen beendet werden«, erklärt der Bundestagsabgeordnete Volker Ullrich (CSU) dem SPIEGEL.
Ausgenommen von der neuen Regelung sind Finanzdienstleistungen – zum Ärger der Grünen. »Warum sollten zum Beispiel Reiseversicherungen nicht per Kündigungsbutton gekündigt werden können?«, fragt Tabea Rößner, die den Kündigungsbutton mit ihrer Fraktion initiiert hatte. Ein von den Grünen in Auftrag gegebenes Gutachten hatte im Versicherungswesen Mängel gezeigt: Wer einen Versicherungsvertrag abschließt, kann ihn oft nur mit Problemen kündigen. In einem untersuchten Fall waren 17 Klicks notwendig, um zur Kündigungsoption zu gelangen.
Erfolgreiche Strategie
Seit einigen Jahren sammeln Verbraucherschützer, Netzaktivisten und Forscher Designtricks, die Nutzer dazu bringen sollen, mehr Geld auszugeben oder auch ihre Daten zur Verfügung zu stellen. »Gerade im E-Commerce sind Dark Patterns schon lange verbreitet«, erläutert Professor Dominik Herrmann, der an der Universität Bamberg den Schutz der Privatsphäre erforscht. Ein früher Trick bestand zum Beispiel darin, den Kunden erst ganz zum Schluss des Bestellprozesses Versandkosten oder sonstige Sonderposten anzuzeigen, wenn diese keine Lust mehr hatten, den kompletten Bestellprozess bei einem anderen Anbieter zu wiederholen.
Die Methode erwies sich als erfolgreich, und die Betreiber von Webshops fanden ständig neue Wege, ihre Kunden zu manipulieren. Beispielsweise sind die Nutzer gewohnt, bestimmte Windows-Dialoge ungelesen wegzuklicken – also gestalteten viele Anbieter ihre Plattformen so, dass Nutzer die für sie ungünstigen Informationen ebenso reflexhaft wegklicken.
Von Websites und Apps greifen die Methoden mittlerweile auch auf weitere Medien über. So zeigen Privatsender auf Smart-TVs mittlerweile auch Cookie-Banner an, um das Sehverhalten ihrer Zuschauer individuell erfassen zu können. Die Freigabe der eigenen Daten ist mit einem Druck auf die Fernbedienung erledigt. Wer jedoch widersprechen will, muss die Cookie-Dialoge genau lesen.
»Erst wenn man es damit stark übertreibt, wenden sich die Kunden verärgert ab«, sagt Herrmann dem SPIEGEL. Die Entwickler wüssten teilweise gar nicht mehr, dass sie die Verbraucher manipulieren, sondern kopierten lediglich die Methoden, die sich schon bei anderen Angeboten als erfolgreich erwiesen hatten. Diese würden mit sogenannten A/B-Tests immer weiter verfeinert. Dabei werden verschiedenen Kunden verschiedene Varianten des gleichen Dialogs gezeigt. Die mit den besten Ergebnissen bleibt online.
Schwarze Liste mit riesigen Lücken
Bisher ist der Gesetzgeber nur punktuell tätig. Die schwarze Liste des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb untersagt etwa, Verbraucherinnen und Verbraucher mit falschen Angaben unter Zeitdruck zu setzen, sodass diese keine Gelegenheit haben, eine tatsächlich informierte Entscheidung zu treffen. Allerdings ist die Methode nur dann verboten, wenn es sich um eine unrichtige Angabe handelt. Ist der Zeitdruck hingegen echt, haben die Anbieter weitgehend freie Hand. So kann Amazon auch in Deutschland seinen »Prime Day« zelebrieren, bei dem neben Tausenden von Angeboten ein auffälliger Countdown zu sehen ist.
Doch der Bogen ist mittlerweile nicht nur für viele Verbraucher überspannt, auch in der Politik sorgt die zunehmende Verbreitung der Designtricks für Unmut. So forderten die Verbraucherschutzminister der Länder Anfang Mai durchgreifende Regulierungen gegen den »nahezu flächendeckenden Einsatz dieser manipulierenden Designmuster«.
Auch im Europaparlament drängen Abgeordnete auf grundlegende Neuregelungen. Die grüne Parlamentarierin Alexandra Geese arbeitet daran, ein Verbot solcher Designpraktiken in den Digital Services Act zu integrieren. Wie stark die Tricks mittlerweile in den digitalen Alltag Einzug gehalten haben, erlebt Geese ständig selbst, weil sie sich bemüht, Werbecookies konsequent abzulehnen. »Für normale Menschen ist das eigentlich nicht zu schaffen«, erklärt Geese im Gespräch mit dem SPIEGEL.
Doch die parlamentarischen Beratungen zeigen, dass es nicht so einfach ist, die Vielzahl unterschiedlicher Taktiken unter ein Gesetz zu fassen. Soll es etwa bereits als Dark Pattern verboten werden, wenn die Ablehnung eines Cookies einen Mausklick mehr kostet, oder sollte man die Grenze bei drei Mausklicks ziehen? Oder sind solche kleinteiligen Regeln der völlig falsche Weg? Wichtig sei es jedenfalls, eine übergreifende europäische Lösung zu finden: »Gerade große Player profitieren sonst von der Ungewissheit«, sagt die Abgeordnete.
Einen großen Player hat Geese besonders im Visier: Sie wirft Facebook vor, gezielt kontroverse und destruktive Inhalte zu fördern, weil die Nutzer mit solchen Inhalten mehr interagieren, was wiederum die Einnahmen des Social-Media-Konzerns in die Höhe schraubt. »Das ist eine bewusste Manipulation von Menschen«, sagt Geese. Doch kann man Unternehmen verbieten, ihre Plattformen auf Inhalte zu optimieren, die von Nutzern besonders oft nachgefragt werden? Solche Fragen werden im kommenden Jahr ausgiebig debattiert. Mit einem fertigen Gesetz ist frühestens 2022 zu rechnen.
Eine App gegen psychologische Tricks?
Solche Fragen untersucht mittlerweile Professor Mario Martini von der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer. Zusammen mit Kollegen forscht der Verwaltungsrechtler an der Natur im Dark Patterns Detection Project. Im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz soll in dem Projekt sogar eine App entstehen, die Dark Patterns automatisch erkennt und Verbraucher vor gezielten Manipulationen warnen kann.
Doch eine Sichtung der aktuellen Lage hat gezeigt, dass diese Aufgabe schwieriger ist als gedacht. Mit seinen Kollegen hat Martini mittlerweile 20 verschiedene Dark Patterns identifiziert. Die Forscher stoßen auf immer neue Methoden: »Es kann niemand behaupten, alle Dark Patterns zu kennen«, sagt Martini dem SPIEGEL.
Die Liste reicht vom »Roach Motel« bis zu getarnten Anzeigen. Manche der Muster sind vergleichsweise simpel: Beispielsweise wird beim »Nagging« immer wieder die Frage gestellt, ob die Kunden einen kostenpflichtigen Zusatzservice buchen wollen. Manche Websites verwirren Nutzerinnen und Nutzer, indem sie Abfragen missverständlich stellen oder sogar Buttons gezielt vertauschen.
Wieder andere Tricks nutzen Erkenntnisse aus der Verhaltenspsychologie. So bauen Anbieter gerne Kommentare vermeintlich begeisterter Kunden auf Angebotswebsites ein, um einen sozialen Druck aufzubauen. Sucht man nach den Bildern im Internet, entpuppen sich viele der vermeintlichen Kunden als Models aus Bilddatenbanken.
»Dark Patterns bespielen unterbewusste Verhaltensmuster, die in jedem Menschen angelegt sind«, erklärt Martini. Zwar seien bestimmte Gruppen wie Kinder oder im Internet unerfahrene Senioren besonders anfällig für die Designtricks. Aber auch onlineerprobte und juristisch gebildete Nutzer können sich nicht völlig gegen die unbewusste Wirkung wehren. »Ich würde lügen, wenn ich behauptete, mich von deren Einfluss gänzlich freimachen zu können«, sagt Martini.